Wenn in einem Staat wie Österreich mehrere Millionen Menschen zusammenleben, brauchen es Regeln, die dieses Zusammenleben ordnen. Gewissermaßen müssen alle Menschen nach denselben
grundlegenden "Spielregeln" handeln, wenn das Zusammenleben funktionieren soll.
Regeln sind Sätze, die etwas steuern und es so in einen bestimmten "Zielbereich" bringen sollen. Der Zielbereich, den eine Regel im Auge hat, ist die Norm. Das ist sozusagen der Soll-Wert oder
das Ideal (das man aber oft nicht erreicht). Soziale Regeln steuern das Verhalten von Menschen in Richtung dieses Soll-Werts, indem sie definieren, ...
-
... welche Verhaltensweise verboten sind (man darf nicht),
-
... welche Verhaltensweisen man erlaubt (man darf),
-
... welche Verhaltensweisen man empfiehlt (man soll, aber man muss nicht)
-
... und welche Verhaltensweisen man verlangt oder gebietet (man muss)
Regeln gibt es auf ganz unterschiedlicher Ebene:
-
Manche Regeln sind ganz persönlicher Natur. Ich habe sie sozusagen mit mir selber vereinbart. Sie beinhalten Verhaltensweise, die sich jemand "selber schuldig ist". Das
ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand mit sich selber vereinbart, dass er regelmäßig Ausgleichssport betreibt oder vor Schularbeiten frühzeitig mit dem Lernen beginnt.
- Manche Regeln sind private Regeln zwischen zwei oder mehreren Personen. Beispielsweise ist das der Fall, wenn zwei Freundinnen die Vereinbarung treffen, sich einmal in der
Woche füreinander Zeit zu nehmen und zu reden.
- Manche Regeln sind institutioneller Natur. Institutionen sind z. B. Schulen oder Unternehmen. Auch sie brauchen Regeln, die das Verhalten der Menschen in diesen
Institutionen (Mitarbeiterinnen, Schülerinnen, ...) in die für sie richtige Richtung lenken und die das Zusammenleben und -arbeiten unterstützen. In vielen Unternehmen gibt es Leitbilder
und Verhaltensvereinbarungen. Oft sind Regeln auch Teil des Arbeitsvertrages. In Schulen ist es ähnlich. So gilt die im SGA beschlossene Hausordnung automatisch für alle Schülerinnen an der
Schule.
- Manche Regeln sind traditioneller Natur. Sie betreffen einfach das, was in bestimmten sozialen Situationen üblich sind. Sie sind ein wichtiger Teil der kulturellen Identität.
Wer sie missachtet, riskiert "schiefe Blicke" oder "Ermahnungen" oder andere soziale Sanktionen. Aber im Normalfall handelt es sich dabei um "ungeschriebene Gesetze", die "der Staat" weder
vorschreibt noch durchsetzt. Dazu zählen zum Beispiel Dress-Codes, Tisch-Sitten oder Begrüßungsrituale.
- Manche Regeln sind durch den Staat beschlossene und erlassene Regeln. Sie nennt man Gesetze und Verordnungen. Auf sie bezieht sich der Kabarettist Gunkl in
seinem Programm (Video-Ausschnitt). Es gibt ganz unterschiedliche Gruppen von Gesetzen. Sehr wichtige Gruppen spricht Gunkl an:
Die Verfassung beinhaltet alle Gesetze, die den Staat selber betreffen und die für die Gesellschaft ganz grundlegend sind. Dazu gehören zum Beispiel Gesetze über die
demokratischen Institutionen (Parlament, Regierung, ... ) oder Gesetze über den Schutz von Menschenrechten.
Das "Bürgerliche
Gesetzbuch" (ABGB) regelt das zivile Leben von Menschen. Man spricht deshalb auch vom Zivilrecht. Dazu gehören zum Beispiel Regeln in Zusammenhang mit Unternehmen
und Arbeitswelt oder Regeln, die das Familienleben betreffen.
Das "Strafgesetzbuch" (StGB) definiert Verhaltensweisen, die der Staat verbietet und die er mit einer Strafe sanktioniert.
Regeln haben einige Nachteile.
-
Der wichtigste Nachteil ist, dass Regeln die persönliche Freiheit einschränken. Denn sie definieren, was die Menschen, für die die Regel gilt, tun
müssen (Gebote) und was sie nicht tun dürfem (Verbote). Dazwischen liegt der Bereich des Erlaubten. Je mehr und strenger die Reglen sind, desto kleiner ist dieser Bereich. Und
gerade wenn man eine Regel persönlich nicht einsieht oder für falsch hält, tut es doppelt weh, sie dennoch beachten zu müssen. Denn Reglen gelten unabhängig davon, ob man sie
sinnvoll findet oder nicht. Das liegt in ihrer Natur.
- Ein anderer Nachteil ist, dass Regeln manchmal nicht eingehalten werden. Das ist zumindest unfair denen gegenüber, die sich an die Regeln halten. Dadurch gefährdet
die Missachtung der Regeln das soziale Zusammenleben und den sozialen Frieden. (Deshalb entwickeln Gemeinschaften auch Druckmittel, mit denen sie die Einhaltung der Regeln durchsetzen wollen.)
- Ein weiterer Nachteil ist, dass es auch problematische und fragwürdige Regeln gibt. Das sind zum Beispiel Regeln, die nur einer kleinen Elite zugute kommen,
oder veraltete und sinnlos gewordene Regeln oder Regeln, die sehr viele problematische "Nebenwirkungen" haben.
Das könnte uns dazu verleiten, Regeln abzulehnen. Doch das wäre falsch. Denn die Vorteile machen diese Nachteile mehr als wett. Denn ...
-
... Regeln schaffen Verlässlichkeit und Sicherheit für alle. Wir dürfen annehmen, dass auch die anderen die vereinbarten Regeln beachten. Das schafft
soziales Vertrauen. Es erleichtert das Handeln.
-
.... Regeln sorgen für ein Minimum an Gerechtigkeit und Fairness. Denn wer Regeln verletzt oder missachtet, darf und soll für dieses Verhalten auch sanktioniert werden.
-
... Regeln sind praktisch. Denn so müssen wir nicht in jeder sozialen Situation die Regeln, die gelten sollen, ganz von vorne neu aushandeln. Das würde sehr viel Zeit und
sehr viele Nerven kosten.
Österreich ist ein demokratischer Rechtsstaat. Für einen demokratischen Rechtsstaat gilt, dass das staatliche Recht (und nur das!) einen Sonderstatus hat. Denn ...
- ... es gilt für alle Menschen, die sich in diesem Staat aufhalten, und zwar (von den unmittelbaren politischen Rechten und Pflichten abgesehen)
für Staatsbürgerinnen und Nicht-Staatsbürger gleichermaßen. Es gilt unabhängig von Religionszugehörigkeit, Weltanschauung oder ethnischer Zugehörigkeit. Niemand darf sich außerhalb des Rechts
stellen.
- ... der Staat setzt sein Recht mithilfe des staatlichen Gewaltmonopols und des staatlichen Machtapparats (Staatsanwaltschaft, Polizei, Justiz,
...) auch mit Zwang durch. Er darf das tun. Und er muss das tun.
- ... Gesetze kommen auf eine ganz klar geregelte Weise "in die Welt": Sie werden vom Gesetzgeber (Parlament, Landtage, ...) nach dem
Mehrheitsprinzip beschlossen. Sie werden von der Regierung (Bundesregierung, Landesregierung, ...) in Kraft gesetzt und vom "staatlichen Apparat" (Verwaltung, ...) in die Praxis umgesetzt. Und
sie gelten so lange, bis der Gesetzgeber, also das Parlament oder der zuständige Landtag, sie wieder aufhebt.
- Weil die Mandatarinnen in Parlament, Landtagen und Gemeinderäten demokratisch gewählt sind, sind es die BürgerInnen selbst, das ihre
Regeln, nach denen sie leben wollen, miteinander vereinbaren. Zumindest indirekt.
Staatliche Gesetze stehen genau deshalb über allen anderen Regeln und Vereinbarungen. Diese dürfen konkreter und durchaus auch strenger sein als das staatliche Recht. Aber sie dürfen nicht
in Widerspruch zum staatlichen Recht stehen.
Und weil staatliche Gesetze für alle Menschen in einem Staat - unabhängig von ihrer Weltanschauung oder ihrer religiösen Überzeugung - gelten, dürfen diese Gesetze nicht aus religiösen
Fundamenten (Texte, religiöse Führerfiguren, ....) abgeleitet sein. Sie brauchen ein weltliches, rational zu begründendes und begründbares Fundament. Dieses Fundament heißt:
-
Demokratie und Rechtsstaat einschließlich Gewaltenteilung
-
Menschenrechte (Freiheitsrechte, Gleichheitsrechte, Menschenwürde), wie sie im Vertrag von Lissabon, in der EMRK und in den UNO-Menschenrechtspaketen, die Österreich
ratifiziert hat (UNO-Charta von 1948, Genfer Flüchtlingskonvention, Frauenrechts-Konvention, Kinderrecht-Konvention, Anti-Folter-Konvention, ...), definiert sind.
-
Frieden
-
soziale Gerechtigkeit, sozialer Friede und öffentliche Sicherheit
-
menschliches Leben
-
Schutz der Umwelt und Respekt für die nichtmenschliche Mitwelt (Tiere und Pflanzen)
Religiöse Normen sind zu einem großen Teil nicht in Widerspruch zum staatlichen Recht. Das ist gut so. Aber für die gesellschaftliche Begründung und die Festlegung von staatlichem
Recht sind religiöse Regeln und Normen irrelevant.
Manchmal sind religiöse Normen strenger als staatliches Recht. Beispielsweise lehnt die katholische Kirche Schwangerschaftsabbruch, viele Methoden der Empfängnisverhütung,
gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen, Scheidung und Wiederverheiratung ab. Das staatliche Gesetz lässt das zu. Niemand ist gezwungen die katholischen Normen zu missachten, wenn er sie
aufgrund seiner Überzeugung einhalten will. Aber er darf diese Normen Menschen, die nicht oder anders religiös sind, nicht "aufzwingen wollen". Wer will, kann aus religiösen Gründen auf
Schweinefleisch oder Alkohol verzichten. Aber er darf seine religiöse Lebensweise nicht zur Norm für andere machen.
Und wenn der Staat etwas gesetzlich regelt, gilt das für alle Menschen.
In einem Rechtsstaat ist das staatliche Recht das einzige Fundament. Es steht über allen anderen Normen, auch über der religiösen Norm.