Höhlenzeichnungen, Gräberfunde, mythologische Geschichten und anderes mehr zeigen uns, dass Menschen schon seit vielen Jahrtausenden versuchen, die Grenzen des "Offensichtlichen" gedanklich zu überschreiten (die Fachmenschen sprechen auch von "transzendieren" = überschreiten). Offenbar sind sie fasziniert vom "Wunder des Lebens", weshalb sie Fruchtbarkeitsgöttinnen verehren. Sie versuchen, die göttlichen Mächte mit rituellen Handlungen positiv zu stimmen. Sie glauben, dass der Tod nicht das Ende, sondern ein Durchgangsstadium in ein anderes Leben sei, weshalb sie verstorbene Ahnen verehren oder ihren verstorbenen Angehörigen Grabbeigaben für die Reise in die andere Welt mitgeben.
Auch finden wir in allen Kulturen weltweit religiöse Überzeugungen. Auch das deutet darauf hin, dass dem Menschen ein tiefes Bedürfnis nach "einem höheren Sinn" innewohnt.
PhilosophInnen bezeichnen den Menschen deshalb als ein "metaphysisch begabtes" Lebewesen (Metaphysik = das, was hinter / neben der
körperlichen Welt existiert) oder als "transzendent denkendes Lebewesen" (transcedere = überschreiben).
Religionen und Glaubenssysteme basieren - so unterschiedlich sie im Einzelnen sein mögen - auf zentralen Grundelementen.
Dazu zählen insbesondere ...
Im wesentlichen können wir einige zentrale Aufgaben von Religionen und Glaubenssystemen identifizieren:
Dass Glaubenssysteme Antworten auf wichtige Bedürfnisse, die Menschen haben, geben, ist unbestritten. Das sagt über die Richtigkeit oder über die Leistung von Glaubenssystemen oder Religionen nichts aus. Zur abendländischen Geschichte von der griechischen Antike bis in die Gegenwart gehören neben dem Glauben immer auch die Kritik am Glauben und der Zweifel.
Heute leben wir speziell in Europa in einer Welt, in der viele grundlegende Fragen durch wissenschaftliche Erklärungsmodelle in Konkurrenz zu den Religionen treten. Und wir haben seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert in allen westeuropäischen Staaten eine politische Tradition der Säkularisierung, die Glaubensfreiheit anerkennt, aber Politik und staatliche Macht nicht durch Glaube und Religion begründet sehen will. Glaube und Religion ist Privatangelegenheit.
Und so existieren in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens - in der Philosophie, in der Wissenschaft, in der Politik, ... - religiöse Positionen neben religionsskeptischen und a-religiösen Positionen. Erkenntnistheoretisch bezeichnet man solche Positionen als Atheismus (Überzeugung, dass es keinen Gott / nichts Göttliches gibt) oder als Agnostizismus (a-gnoscere = Nicht-Wissen; Überzeugung ,dass man über Gott nichts wissen und nichts vernünftiges sagen kann)
Es gibt aber auch ziemlich viele Menschen, die ihr Leben zwar nicht mehr an einer bestimmten Religion ausrichten, für die Religion und Glaube aber trotzdem etwas sind, was das Leben bereichert. Sie bleiben z. B. als Taufscheinchristen in der Statistik. Teilweise, weil die großen Feste und Feiern dem Leben einen "guten Rahmen" geben (also weil eine kirchliche Hochzeit schöner als eine nur standesamtliche ist).
Es gibt auch viele Menschen, die eine Welt, in der alles auf Wissenschaft und Technologie reduziert ist, als zu "kalt" empfinden; sie haben das Bedürfnis nach Spiritualität und suchen sich - oft in ganz unterschiedlichen Religionen und auf dem Esoterik-Markt - das, was diesem Bedürfnis zu entsprechen scheint: Meditation, schamanistische Rituale, religiöse und quasi-religiöse Symbole, ... Diese Tendenz wird - teilweise etwas despektierlich - als "oberflächliche Patchwork-Religiosität" bezeichnet. Positiv gesehen zeigt sie aber auch, dass Menschen im Hinblick auf ihre religiösen Bedürfnisse autonomer und selbstbewusster geworden sind.
Andererseits gibt es auch Menschen, die wissenschaftlichen Erklärungen mit Skepsis oder sogar mit Ablehnung gegenüberstehen. Sie glauben, dass religiöse Wahrheiten - z. B. weil sie von Gott geoffenbart worden seien - absolut seien. Wissenschaftliche Erkenntnisse dürften deshalb nicht akzeptiert werden, wenn sie in Widerspruch zu religiösen Wahrheiten stehen. Eine solche Position bezeichnet man gemeinhin als Fundamentalismus.
Wiederum andere Menschen denken, dass Glaube und Wissenschaft sich ähnlich wie zwei unterschiedliche Sprachen oder Denksysteme verhalten. Dieser Position zufolge sind religiöse Ideen - vielleicht ähnlich wie literarische Texte oder Bilder - Bezugspunkte, die uns helfen, über uns selbst und die Welt nachzudenken. Ebensowenig, wie es Sinn macht, nach einer Geburtsurkunde für Harry Potter zu suchen, macht es demzufolge Sinn, nach wissenschaftlichen Beweisen für die Existenz von Adam und Eva zu forschen. Trotzdem können wir aus den Geschichten, die von ihnen erzählen, vieles über uns selbst lernen. Eine solche Position könnte man als religiös-säkularen Dualismus bezeichnen.