Keine Zeit hat so viel und so Mannigfaltiges gewusst wie die heutige - aber keine Zeit wusste weniger, was der Mensch sei, als die heutige. Keiner Zeit ist der Mensch so fragwürdig
geworden wie der unsrigen.
(Martin Heidegger, deutscher Existenzphilosoph, 1889 - 1976)
"Was ist der Mensch?" ist eine der vier Grundfragen, die der deutsche Philosoph Immanuel Kant stellt. Damit formuliert er die Grundfrage der Anthropologie.
Begriffsdefinition:
Die philosophische Anthropologie ("anthropos" = griech.: der Mensch) stellt sich der Frage nach dem Menschen. Dabei geht es vor allem um den Versuch, "das Wesen" des Menschen näher zu beschreiben. Die philosophische Anthropologie versucht also einerseits Menschenbilder zu entwerfen. Andererseits versucht sie bestehende Menschenbilder - beispielsweise im Rahmen von Religionen oder politischen Theorien - kritisch zu hinterfragen.
Etwas genauer können wir vier zentrale Grundfragen der Anthropologie definieren:
Frage 1: Es geht um die Frage nach dem „Wesen des Menschen“
Der Mensch ist - soweit wir wissen - das einzige Lebewesen, das imstande ist, in abstrakt-reflexiver Form über sich selbst nachzudenken. Das also nicht nur über Bewusstsein verfügt, wie
viele Tiere, sondern darüber hinaus auch über Selbst-Bewusstsein. Immer wieder wurde und wird versucht, zu definieren, was "Mensch-Sein" ist oder bedeutet. Keine dieser Definitionen ist
erschöpfend und umfassend. Zu vielschichtig, komplex und widersprüchlich ist das Wesen Mensch. Trotzdem kann die Auseinandersetzung mit verschiedenen Sichtweisen uns helfen, etwas mehr über uns
und unser Mensch-Sein zu verstehen.
Frage 2: Es geht um die Frage, welche Menschenbilder verschiedenen Theorien zu Grunde liegen
Religionen, Weltanschauungen, politische Parteien implizieren immer auch bestimmte Vorstellungen darüber, was der Mensch sei. So begreift das Christentum den Menschen als ein von Gott
geschaffenes Lebewesen, das neben einem sterblichen Leib auch über eine unsterbliche Seele verfüge (u.a.m). Die Tradition der Aufklärung sieht im Menschen - im Unterschied zum Tier - ein
Lebewesen, das über Verstand und Rationalität verfügt. Im Gegensatz dazu betont wiederum die Psychoanalyse, dass der Mensch in seinem Erleben und Verhalten gerade auch von irrationalen, ihm
selbst oft nicht bewussten Triebimpulsen mitbeeinflusst sei. ...
Frage 3: Es geht um die Frage, wie plausibel Menschenbilder sind
Ob ein bestimmtes Menschenbild richtig oder zumindest plausibel ist (beispielsweise in dem Sinn, dass es mit den Erkenntnissen moderner Wissenschaft), ist eine Frage, die immer wieder neue
Aktualität bekommt. Wir können beispielsweise an die sozialdarwinistische Rassentheorie des Nationalsozialismus denken, wo die Theorien Charles Darwin dermaßen verzerrt wurden, dass nicht
nur eine Einteilung von Menschen in unterschiedliche Rassen selbstverständlich erschien, sondern darüber hinaus auch eine Einteilung in angeblich "höhere" und angeblich "weniger hohe" Rassen
erfolgte. Eine wichtige Aufgabe einer philosophischen Anthropologie in diesem Zusammenhang wäre es zu hinterfragen, wie plausibel ein solches Menschenbild ist, ob ein solches Menschenbild auf
einer wissenschaftlichen Grundlage basiert oder rein ideologisch motiviert ist, inwiefern für ein solches Menschenbild wissenschaftliche Theorien verbogen oder verzerrt oder einseitig
interpretiert werden müssen, ...
Frage 4: Es geht um die Frage, welche Auswirkungen Menschenbilder haben
Wichtig ist auch zu sehen, dass teilweise oder gänzlich falsche Menschenbilder massive Auswirkungen auf die Lebenspraxis von Menschen haben können, einfach weil man an sie glaubt oder weil sie
zur Grundlage politischen Handelns gemacht werden. Als Beispiel kann hier wieder das Menschenbild des deutschen Faschismus dienen, das durch Rassenideologie und absolute Unterordnung des
Einzelnen unter die (angeblichen) Interessen des "Volksganzen" gekennzeichnet war. Die politische Umsetzung dieses im Hinblick auf die Rasseidee falschen, im Hinblick auf die Volksidee
problematischen Menschenbildes führte - wie wir wissen - zur Entrechtung und Ermordung von Millionen von Menschen, zur politischen Entrechtung des Einzelnen, zu Diktatur und Krieg.
Aufgabe der philosophischen Anthropologie ist es, zu hinterfragen, welche Auswirkungen die Menschenbilder bestimmter Denkschulen haben und auf problematische und fragwürdige Auswirkungen
hinzuweisen.
A1: Stimmst du Heideggers Behauptung, keiner Zeit sei der Mensch so fragwürdig geworden wie der heutigen, zu? Wenn ja, was könnten Ursachen für dieses Phänomen
sein? |
A2: Zeige an einem oder an zwei konkreten Beispielen, dass Menschenbilder auch dann, wenn sie falsch sind, wirkmächtig sein können. Denke z. B. an
Menschenbilder, wie sie faschistische Ideologien, religiöse Fundamentalismen o. ä. |
A3: Viele Erfahrungs-Wissenschaften (Biologie, Psychologie, Soziologie, ...) beschäftigen sich mit dem Menschen. Was sind wichtige Unterschiede zwischen einer
erfahrungswissenschaftlichen Erforschung des Menschen einerseits und dem Zugang / Anliegen der philosophischen Anthropologie? Wofür braucht es eine philosophische Anthropologie, wenn
es doch die "Wissenschaften vom Menschen" gibt? |
A4: Auch Religionen beschäftigen sich im Kern mit der Frage nach dem Wesen des Menschen. Was ist ein wichtiger Unterschied zwischen einer philosophischen und einer
religiösen Anthropologie? |
A5: Menschenbilder in Zitaten (Download) |