Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann rufe nicht die Menschen zusammen,
um Holz zu sammeln, Aufgaben zu verteilen und die Arbeit einzuteilen,
sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer.
A. de Saint-Exupéry
zum Nach-Denken / zur Diskussion: Angenommen, Saint-Exupéry entwirft hier eine Motivationsthese: Was ist dann Motivation? Wie wirkt Motivation? Wozu brauchen wir Motivation?
Der Begriff "Motivation" kommt vom Lateinischen "movere". Das bedeutet Bewegung oder sich bewegen (vgl. engl. to move). Motivation ist also der Beweggrund für ein bestimmtes Verhalten.
Motivation ist etwas spezifisch Menschliches. Denn im Unterschied zu Gefühlen (z. B. Angst), Instinkten oder Trieben (z. B. Hunger), die immer in der Gegenwart verwurzelt sind, beziehen sich Motive immer auf Zielsetzungen, die in der (näheren oder ferneren) Zukunft liegen. Sie lösen damit menschliches Verhalten ein Stück weit aus der Gebundenheit an die Gegenwart. Tiere können ebenfalls Emotionen empfinden, sie richtigen ihr Verhalten an Triebregungen oder Instinkten aus. Aber sie denken - so nehmen wir an - nicht über ihre Zukunft nach und lassen sich durch Zukunftserwartungen auch nicht in ihrem gegenwärtigen Verhalten beeinflussen. Aus diesem Grund nehmen wir auch an, dass Motivation nur im menschlichen Bereich eine Rolle spielt.]
Motive können mit gegenwärtigen Gefühlen, Stimmungen oder Triebimpulsen oder mit anderen zukünftigen Motiven in Konflikt geraten. Dann spricht man von einem Motivationskonflikt. Motivationskonflikte entstehen also, wenn verschiedene Handlungsimpulse sich gegenseitig blockieren, sodass wir das Motivationsziel aus den Augen zu verlieren drohen. Beispielsweise ist Anna in einem Motivationskonflikt, wenn sie in der nächsten Mathematikschularbeit eine gute Note will (weswegen sie eigentlich lernen sollte), während andererseits die Sonne scheint und ihre beste Freundin sie zu einem Skitag überreden will.
Motivationskonflikte entstehen oder verstärken sich durch Frustrationen (lat. frustra = vergeblich). Das sind Vergeblichkeitsgefühle, die das Erreichen eines bestimmten Ziels zu blockieren drohen oder die Motivation abwürgen. Frustrierend für Anna, die sich gegen den Skitag entschieden hat, wenn sie vor ihren Mathematik-Unterlager sitzt und nur "Bahnhof" versteht; wenn sie versucht, Aufgaben zu lösen, und am Ende feststellt, dass der Ansatz nicht stimmt; wenn in ihr die Vorstellung dominant wird, dass sie trotz Lernanstrengungen wieder keine gute Note schaffen wird; wenn der Widerstand gegen das Weiterlernen zunehmend größer wird.
Motivation ist durch vier Teilaspekte (Dimensionen) beschreibbar:
EINTEILUNG NACH ZIELSETZUNG
PsychologInnen haben versucht, die Vielzahl der Motive, die Menschen bewegen, in Gruppen einzuteilen.
KeineR dieser Einteilungsversuche ist wirklich perfekt und in jedem Fall überzeugend. Aber sie können eine Orientierungshilfe sein. Je nach Theorie stellen PsychologInnen auch ganz bestimmte Motive oder Motivkomplexe in den Vordergrund. Beispielsweise lassen sich Motive folgendermaßen
Solche Einteilungen helfen uns zu verstehen, dass ein bestimmtes Verhalten - beispielsweise, dass Bertram seit drei Wochen mindestens dreimal in der Woche ins Fitness-Center geht und dort Krafttraining macht - ganz unterschiedliche Ursachen im Bereich Motivation haben kann.
Eine andere Einteilung der Motive geht auf den amerikanischen Psychologen Abraham Maslow zurück. Deshalb bezeichnet man diese Einteilung auch als Maslowsche Bedürfnis-Pyramide.
Maslow geht von einer Motiv-Hierarchie aus. Er glaubt, das Basismotive (also z. B. Schmerzfreiheit) erfüllt sein müssen, damit andere Motive ins Blickfeld rücken können. Die unteren Motivbereiche nennt er Defizitmotive; es geht um Mangelvermeidung. Die oberen Wachstumsmotive; es geht um eine möglichst große Fülle.
Maslow ist einer der wichtigsten Vertreter der so genannten humanistischen Psychologie, die der kognitiven Psychologie sehr nahe steht und die sich vor allem in ihrem Menschenbild von der Psychoanalyse (die ihr Menschenbild von der Neurose ableitet und für die der Mensch ein Triebwesen ist) und vom Behaviorismus (für den der Mensch eine Input-Output-Maschine ist) ab. Für die humanistische Psychologie ist der Mensch ein Wesen, das von Natur aus nach Sinn und Selbstverwirklichung strebt. Für Maslow stehen daher das Bedürfnis nach Sinn und Selbstverwirklichung an der Spitze einer Pyramide. Sie können allerdings erst dann ins Zentrum des Interesses rücken, wenn grundlegendere Bedürfnisse und Motive nicht mehr alle Ressourcen eines Menschen binden.
Ganz an der Basis sieht Maslow die vitalen Grundbedürfnisse, die das physische Überleben sichern. Wenn sie nicht gesichert sind, wird für einen Menschen alles andere zweitrangig. Fundamental ist ebenfalls das Bedürfnis nach einer elementaren Grundsicherheit: Wer damit rechnen muss, in seiner Wohnung oder auf der Straße überfallen zu werden, interessiert sich nur peripher für Selbstverwirklichung.
Menschen haben aber auch ein Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Menschen sind soziale Lebewesen. Und für die meisten Menschen ist es wichtig, Teil einer sozialen Gemeinschaft zu sein, von anderen Menschen wahrgenommen zu werden, Anerkennung durch andere Menschen zu finden, anderen Menschen etwas "mitzugeben" uam. Diese Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung werden nach Maslow wichtig, wenn die elementaren Grundbedürfnisse halbwegs gesichert sind. Es geht dann z. B. nicht mehr nur darum, durch den Beruf den eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Wir möchten über den Beruf auch unser soziales Leben bereichern, soziale Anerkennung durch andere erfahren, gesellschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten wahrnehmen ...
Als letzte Stufe folgt dann eben das Streben nach einem tieferen Lebenssinn, der über die eigene Person und den eigenen Horizont "hinausstrebt" (trans-cedere = überschreiten). Das könnte eine religiöse Rückbindung sein. Es könnte aber auch das Gefühl sein, für die Menschen / für die Zukunft etwas Wichtiges oder Sinnvolles zu tun.
Auf ein konkretes Beispiel - beispielsweise den Kauf eines Autos - angewendet, könnte die Maslowsche Bedürfnispyramide folgende Analyse ergeben:
Physiologische Grundbedürfnis: Auto als Mittel, um den Lebensunterhalt zu sichern (Nahrungsmittel einkaufen, zum Arbeitsplatz gelangen, ...)
Sicherheit: Auto als sicheres Verkehrsmittel (kein chinesisches Auto; Sicherheitsstandards wie Air-Bag oder ESP, ...)
Soziale Bedürfnisse: Auto als Mittel, soziale Beziehungen zu pflegen; eventuell auch Auto als Symbol für die Identifikation mit einer bestimmten sozialen Gruppe / sozialen Schicht (z.B. Golf-Fahrer, Sportwagen-Fahrer, ...)
Ich-Bedürfnisse: Auto als Statussymbol (Marke! Identifikationsangebote durch eine bestimmte Marke wie Mercedes, BMW, Audi, Porsche, ...)
Selbstverwirklichung: Auto als Element der Sinnfindung, des Lebensinhalts (kleinbürgerliche Autowäsche am Samstag Nachmittag; Familienausflug im VW-Käfer in den 50er-Jahren; Autotuning, Oldtimer fahren; ein altes Auto restaurieren; ...)Transzendente Bedürfnisse: (hier fällt mir auf das Auto bezogen nichts mehr ein, außer wenn jemand mit dem Auto eine Wallfahrt macht oder - wie früher meine Oma - das Auto braucht, damit sie jeden Tag in die Kirche fahren kann.)
Kritik am Modell der Maslowschen Bedürfnis-Pyramide:
Kritiker behaupten, dass diese Hierarchie in der Praxis nicht stimme. Menschen können beispielsweise sehr wohl nach Transzendenz streben, obwohl ihre Bedürfnisse nach Sicherheit, ja sogar ihr Bedürfnis nach physischem Überleben nicht gesichert ist.
A4: Erkläre unterschiedliche Bedürfnisse auf der Ebene der Maslowschen Bedürfnispyramide für ein konkretes Beispiel. (Vorschläge: eine Reise machen, einen Beruf ausüben, eine Sportart pflegen, Essen und Trinken, eine Wohnung kaufen/ein Haus bauen, ein Haustier haben; ...)